Wenn der Anfang schwer war – Geburtstraumatisierungen und ihre Spuren im Erwachsenenleben
                    Die Geburt gilt oft als der Beginn des Lebens – ein Moment voller Hoffnung, Staunen und Verbundenheit. Doch nicht jede Geburt verläuft sanft oder sicher. Viele Menschen kommen unter schwierigen, medizinisch belastenden oder emotional überfordernden Umständen zur Welt: Zangengeburt, Kaiserschnitt, Saugglocke, Nabelschnurkomplikationen, Sauerstoffmangel, der Einsatz des Kristeller-Griffs, frühe Trennungen von der Mutter – all das kann für das Neugeborene (und auch für die Mutter) traumatisch sein.
Was dabei häufig vergessen wird: Eine Geburt, die medizinisch „gut ausgegangen“ ist, kann seelisch dennoch Spuren hinterlassen.
Unter einer Geburtstraumatisierung versteht man ein Erlebnis während der Geburt, das für den Körper oder das Nervensystem als überwältigend, lebensbedrohlich oder existenziell bedrohlich erfahren wird.
Für ein Baby, das noch kein Bewusstsein, aber ein hochsensibles Nervensystem hat, kann die Geburt als überwältigend erlebt werden.
Auch die Gebärende selbst kann ein Geburtstrauma erleben, etwa, wenn sie sich ausgeliefert, übergangen oder ohnmächtig fühlt. In der psychotherapeutischen Arbeit begegnen wir jedoch zunehmend auch Erwachsenen, deren frühe Geburtserfahrungen bis heute – meist unbewusst – nachwirken.
Wenn der Körper sich erinnert
Das Besondere an Geburtstraumata ist: Sie entstehen zu einem Zeitpunkt, an dem das Gehirn noch nicht sprachlich denken oder bewusst erinnern kann. Was bleibt, ist eine körperliche Erinnerung, eine Art implizites Gedächtnis im Nervensystem.
Menschen, die eine schwierige Geburt erlebt haben, tragen oft eine unbewusste „Grundspannung“ in sich. Sie können auf bestimmte Situationen mit unerklärlicher Angst, Enge oder Kontrollbedürfnis reagieren, obwohl ihnen „rational“ nichts Bedrohliches bewusst ist.
Typische Spuren, die sich im Erwachsenenalter zeigen können, sind:
- 
Schwierigkeiten mit Nähe und Vertrauen – das Gefühl, „nicht gehalten“ oder „nicht sicher“ zu sein
 - 
Kontrollbedürfnis und Perfektionismus – als Versuch, das Erleben von Ausgeliefertsein zu vermeiden
 - 
Atemprobleme, Engegefühle im Brustkorb, Spannung im Kiefer oder Nacken
 - 
Angst vor Kontrollverlust oder Panik in engen Räumen
 - 
Starke Reaktionen auf medizinische Eingriffe oder Berührungen im Kopf- und Halsbereich
 - 
Bindungsschwierigkeiten
 - 
das Gefühl, „nicht ganz da“ zu sein
 
Diese Reaktionen sind keine bewusste Entscheidung, sondern gespeicherte Überlebensstrategien des Körpers.
Die Schwangerschaft und Geburt sind unsere ersten großen Beziehungserfahrungen.
In diesem Übergang aus der Geborgenheit des Mutterleibs in die Welt wird der Grundstein gelegt für das, was wir später als „Sicherheit“, „Vertrauen“ oder „Getragenwerden“ empfinden.
Wenn dieser Übergang abrupt, schmerzhaft oder traumatisch verläuft, kann das Urvertrauen beeinträchtigt werden.
Ein Beispiel: Ein Baby, das während der Geburt stark festgehalten oder mit Zange oder Saugglocke herausgezogen wurde, kann im Körpergedächtnis die Erfahrung gespeichert haben: „Ich komme nicht selbst, ich werde gezogen“ oder „Bewegung ist gefährlich“.
Im Erwachsenenalter kann sich das zeigen in Mustern wie:
- 
Schwierigkeiten, selbstbestimmt Schritte zu gehen
 - 
das Gefühl, „angeschoben“ werden zu müssen
 - 
Hemmung, sich selbst zu entfalten oder ins Leben zu treten
 
Umgekehrt kann eine sehr schnelle, „überstürzte“ Geburt das Gefühl hinterlassen: „Ich wurde zu früh herausgerissen“, was sich später in Überforderung, Überreizung oder Schwierigkeiten mit Übergängen zeigen kann.
Die Bedeutung der frühen Beziehung
Nicht nur das körperliche Erleben prägt, sondern auch die emotionale Resonanz.
Wird ein Baby nach der Geburt sofort getrennt, medizinisch versorgt, in einem Inkubator betreut oder von einer überforderten Mutter empfangen, kann das Nervensystem in einen anhaltenden Alarmzustand geraten.
Das Fehlen von liebevollem Blickkontakt, Hautkontakt oder Beruhigungssignalen in dieser frühen Phase kann sich im Erwachsenenalter in einem tiefen Gefühl von Verlassenheit oder Nicht-Gesehenwerden zeigen.
In der Gestalt- und Körperpsychotherapie geht es nicht darum, diese Erfahrungen „wegzumachen“, sondern sie ins Bewusstsein und in Beziehung zu bringen.
Wenn der Körper heute reagiert, zeigt er das, was damals nicht ausgedrückt werden konnte.
Heilung beginnt mit Verbindung
In der körperorientierten Gestalttherapie arbeite ich mit Klientinnen und Klienten oft an genau diesen frühen Erfahrungen, nicht durch Erinnerung, sondern durch Wahrnehmung.
Heilung bedeutet hier nicht, die Vergangenheit zu ändern, sondern den Körper neu zu verankern:
- 
Ich bin jetzt sicher.
 - 
Ich darf selbst bestimmen.
 - 
Ich werde gesehen und gehalten.
 
Diese neuen Erfahrungen wirken tief ins Nervensystem und können das ursprüngliche Trauma nach und nach integrieren.
Der Weg der Integration
Viele Menschen, die zu mir in die Praxis kommen, spüren, „dass da etwas Altes mitschwingt“, können es aber nicht genau benennen. Manchmal zeigt es sich in wiederkehrenden Körperbeschwerden, in Beziehungsdynamiken oder in einem Gefühl von innerer Getrenntheit.
Durch achtsame therapeutische Begleitung können solche unbewussten Muster sichtbar und verstehbar werden.
Die Arbeit mit Geburtstraumata ist dabei sehr behutsam. Das Nervensystem wird nicht konfrontiert, sondern eingeladen, Schritt für Schritt, alte Schutzmechanismen loszulassen.
Zentral ist, dass die Person die Erfahrung macht, heute Kontrolle zu haben und sich selbst regulieren zu können. Erst wenn das Gefühl von Sicherheit im Hier und Jetzt spürbar ist, kann das Nervensystem beginnen, alte Belastungen zu integrieren.